Pferde als Co-Trainer in der systemischen Beratung
Partnerschaftlicher Umgang mit dem Co-Trainer Pferd
Sehr prägend für meine Arbeit mit Pferden als Co-Trainern waren für mich die ersten Begegnungen mit meiner späteren geduldigen und werteprägenden Freundin und Lehrerin Silke Vallentin. Seit einem längerem USA-Aufenthalt ist sie Parelli-Instruktorin und eine europaweit gefragte Pferdetrainerin.
Bei einer großen Messeveranstaltung in einer großen Halle mit vielen Menschen kamen sie und ihre Teammitglieder mit ihren Pferden für eine Show in die Arena und zeigten eine überwältigende Partnerschaft zwischen Mensch und Tier. Das ist feine Kommunikation zwischen Lebewesen unterschiedlicher Lebenswelten. Es zeugt von großer Wertschätzung, Wahrnehmungsfähigkeit und dem Respekt unterschiedlicher Lebenswelten.
Silke Vallentin arbeitet nach einem Prinzip des Natural Horsemanship, welches ein Amerikaner Namens Pat Parelli anwendbar gemacht hat. Warum anwendbar?
Es ist keine neue Erfindung, sondern basiert auf tausenden Jahren Entwicklungsgeschichte von Equiden. Er hat diese feine Kommunikation zwischen den Tieren beobachtet und für Menschen, die einen partnerschaftlichen Umgang mit ihrem Tier anstreben, in eine nachvollziehbare, systematisch aufbauende Schule gebracht. Von Beginn an gehen wir mit unseren Pferden diesen Weg und das Ergebnis ist eine vertrauensvolle, von gegenseitigem Respekt geprägte Partnerschaft.
Viele positive Elemente der partnerschaftlichen Kommunikation finden sich ebenfalls in anderen traditionellen Schulen der Pferdeausbildung wieder. Es ist immer eine Form der Wertschätzung, die der einzelne Mensch in der Beziehung mit dem Tier zeigt.
Weiterhin ist meiner Ansicht nach die artgerechte Haltung der Tiere eine Grundvoraussetzung für die Arbeit im Beratungskontext.
Um natürliche Verhaltensmuster zeigen zu können, müssen die Tiere ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen können. Sie müssen sich sicher fühlen und freien Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen haben – und das sowohl körperlich als auch emotional. Das beginnt mit dem Leben in einer Herde, wo soziale Beziehungen gepflegt werden können und es auch Möglichkeiten zum Rückzug gibt. Das habe ich als besonders wichtige Seelenhygiene festgestellt, wenn die Pferde als Co-Trainer im psychosozialen Kontext arbeiten.
Zusammenfassend sind artgerechte Lebensbedingungen, ein partnerschaftlicher Umgang und viel Wissen um die natürlichen Verhaltensweisen der Tiere Voraussetzung für den Einsatz der Pferde als Co-Trainer in der Beratung.
Pferde im verhaltensbiologischen Kontext
Pferde sind Fluchttiere. Sie haben kein über ihr Grundbedürfnis hinaus gehendes Ziel. Ihre Verständigung untereinander basiert fast ausschließlich auf einer perfekten und ressourcenorientierten nonverbalen Kommunikation. Ausnahmen sind z.B. ein lautes „Rufen“ (Wiehern) wenn sich Herdenmitglieder weit entfernen oder Quietschen, wenn z.B. Stuten ihren Individualabstand nicht respektiert sehen.
Die Lebensform ist ein hierarchisch strukturiertes soziales System, die Herde. Diese wird geführt durch die Leitstute, welche diese Position innehat, da sie das Vertrauen und den Respekt der Herde besitzt. Sie führt die Herde zu lebenswichtigen Ressourcen. Sie trägt Sorge für die geeigneten Weideplätze, Wasser und Schlafplätze. Im Gegenzug dafür steht ihr der erste und beste Zugang zu den Ressourcen zu.
Der Leithengst sichert die Nachkommen, verteidigt die Herde gegen Angreifer und schaut aus der treibenden Position heraus, dass alle Herdenmitglieder mitziehen.
Die Hierarchie wird untereinander durch nonverbale Kommunikation geklärt. Es sind Spiele, die die Pferde untereinander spielen, um sich immer wieder ihren Platz in der Hierarchie zu sichern oder zu testen, was möglich ist und was nicht. Es existieren vielen Nuancen und Intensitätsskalen. Die Haltung von Ohren, Schweif, Hals und die Atmung, Blick und Muskeltonus geben Auskunft über die Grundstimmung des Individuums. Dabei genügen kleinste, kaum sichtbare Signale, z.B. ein leichtes Ohranlegen vom Herdenchef, um Subdominate Mitglieder zu bewegen.
Ein wichtiger Baustein in der täglichen Pferdeunterhaltung ist „Wer bewegt wen?“ Ranghohe Tiere setzen stets mit minimalem Aufwand die anderen in Bewegung, wobei es sich eher um eine „Autorität durch Beziehung“ mittels Präsenz und klaren Regeln (v. Schlippe, Omer 2012) dreht, als dass es in wilde Rangelei ausartet. Gegenseitige soziale Fellpflege gehört zum Repertoire der Beziehung, festigt Freundschaften und ist Balsam für Körper und Geist.
Pferde „spiegeln“ ihr Gegenüber. Dieses evolutionär von den meisten Säugetieren angelegte frühkindliche Verhalten ermöglicht schon den Fohlen, in Beziehung zu ihren Artgenossen zu treten um zu überleben.
Wichtige nonverbale Kommunikation zwischen Mensch und Pferd
Menschen kommunizieren verbal und nonverbal. Unterschiedliche Studien belegen unterschiedlich hohe Anteile an nonverbaler Kommunikation bei Menschen. Aber übereinstimmend ist, dass ein sehr hoher Anteil unserer nonverbalen Mitteilung belegt ist. Diese Anteile sind die ersten, welche Menschen im frühkindlichen Alter zur Verfügung stehen und die eingesetzt werden können, um Bindung aufzubauen. Die Körpersprache ist also eine Ebene, über die Menschen mit den Tieren kommunizieren können.
Es bilden sich auf Grund der gemachten Lebenserfahrung in unterschiedlichen Situationen individuelle Verhaltensmuster. (neuropsychologische Prozesse)
„Was wir denken, entscheiden und tun, wird nicht von unseren bewussten Prozessen bestimmt, sondern von Prozessen, die zuvor ohne Bewusstsein abgelaufen sind.“ (Grawe, 2004, S. 120)
Um Entwicklungs- oder Veränderungsprozesse in der Beratung aktiv gestalten zu können ist es hilfreich, diese unbewussten Anteile ins Bewusstsein zu rücken, sie zu reflektieren und bearbeiten zu können. Daher ist ein Pferd der ideale Co-Trainer.
Unterschiedliche positive oder negative Emotionen, welche durch zum Ziel führendes oder nicht zum Ziel führendes Verhalten entstehen, werden zuerst beim Pferd sichtbar. Da die Tiere wertfrei und unmittelbar reagieren, werden Divergenzen und ablaufende Prozesse mit dem Klienten besprechbar. Die Reaktion eines Tieres auf von dem Klienten gezeigte Aktionen ist annehmbar, wie bereits Arist v. Schlippe festgestellt hat:
„[…] Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass sich Pferde besonders gut dafür eignen, Menschen zu solchen neuen Erfahrungen zu verhelfen. Zum einen sind sie beeindruckend in ihrer Größe und Kraft, zum anderen sind sie keine Raubtiere, sondern als Herden- und Fluchttiere auf Sicherheit und Kooperation ausgerichtet. Sie sehen daher in dem lebendigen Gegenüber nie die potentielle Beute, sondern prüfen jeweils, ob und wie sie zu ihm eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen können. Ihre Fähigkeit, sich in Herden organisieren zu können, versieht sie zugleich mit einem intuitiven Wissen über soziale Dynamiken, das man sich in der beraterischen Praxis zunutze machen kann. […]“1
1 Arist v. Schlippe Geleitwort zum Buch Imke Urmoneit 2013 „ Pferdegestützte systemische Pädagogik“ ISBN 978-3-497-02359-2 (S. 11)